Klaus Ullrich auf dem Weg zum Mount Everest

Ganz tief oben.

Auf dem Weg zum Mount Everest. Und zu sich selbst.

Triathlet, Unternehmer, Bergsteiger, Coach. Manche Wege sind lang, fordern Geduld, Überzeugung und Mut, ihnen treu zu bleiben. Klaus Ullrich hat einen solchen Weg gewählt — und sich mit 58 Jahren einen Kindheitstraum erfüllt: die Besteigung des Mount Everest. Wir sprechen mit ihm über den Weg auf den höchsten Punkt der Erde. Und über die Erkenntnisse, die tiefer reichen als jede Höhe.

Klaus Ullrich am See

Ein Wunsch, geboren bei einem Aschaffenburger Lichtbildvortrag. Damals war Klaus Ullrich zwölf Jahre. Das war 1979. » Peter Habeler erzählte von seinem Aufstieg. Ich war wie elektrisiert. Da wusste ich: Da will ich mal hin. «

Im Übrigen, falls er Ihnen kein Begriff sein sollte: Peter Habeler, legendärer Alpinist aus dem Zillertal. Er wurde weltbekannt, als er 1978 mit Reinhold Messner den Mount Everest erstmals ohne Sauerstofffllasche bestieg.

Klaus Ullrich im Wald

45 Jahre später.
Es ist dieselbe Sehnsucht. Nur der Horizont hat sich verändert. Aus dem Traum von damals ist ein Weg geworden, der Ullrich bis an die Grenzen und darüber hinaus führt. Nicht mehr das ferne Bild treibt ihn an, sondern die Frage, was möglich wird, wenn man auf den eigenen Ruf hört und ihm wirklich folgt.

Wir treffen ihn am Hahnenkamm. Zugegeben, mit 435,5 Metern nicht gerade der Himalaya. Und doch ist dieser Ort für ihn ein ganz persönliches Highlight: Heimat, Trainingsort und Rückzugsort in einem. Der perfekte Ausgangspunkt für ein Gespräch, das schnell die gedachte Route verlässt. Denn plötzlich steht nicht mehr allein die Expedition im Mittelpunkt – sondern wie der Aufstieg alles verändert hat. Vor allem den Blick. So geht es um Zielstrebigkeit, Leidenschaft und die Kraft, Visionen Wirklichkeit werden zu lassen – ob am Berg oder im Unternehmen.

Ein großer Traum, aber auch eine große Herausforderung. Wie kam es zur Entscheidung, diese auch wirklich anzugehen?
Es war eine Herzensentscheidung. Ich habe die Vernunft ausgeschaltet und gesagt: jetzt oder nie. Doch damit begannen auch die Zweifel: Ist man mit 58 zu alt? Ist man fit genug? Ich hatte viele Fragen. Doch auch ein klares Gefühl: Ich will das schaffen!

Klaus Ullrich vor dem Mount Everest

AUFBRECHEN
Von Lukla bis ins Basecamp: acht Tage Aufstieg durch wechselnde Höhen und Landschaften. Mit Zeit zum Ankommen und Akklimatisieren.

Gletscherfläche des Mount Everest
Team rund um Klaus Ullrich beim Aufstieg des Mount Everest

EINSCHWÖREN
Ein Team, ein Ziel: Hier beginnt das gemeinsame Vertrauen. Jeder Schritt auf den Berg ist nur möglich, weil sich alle aufeinander verlassen. Als kleine Einheit in großen Höhen.

Im Vorgespräch erwähnten Sie bereits die „Dimension“ des Vorhabens. Kurz gefragt: Wie bereitet man sich auf das Extremste vor, das man sich vorstellen kann?
Mental! (Kommt die Antwort unmittelbar, ohne zu zögern) Natürlich war da die körperliche Fitness, gewachsen über Jahrzehnte im Ausdauersport. Aber es ging vorrangig um den Kopf. (…) Ich habe mir bewusst einen Mental-Coach gesucht. Denn ab einer gewissen Höhe trägt nicht mehr der Körper den Kopf, sondern umgekehrt. (…) Und dann ging es los: Trainingsprogramme, Winterbesteigungen auf die Zugspitze, Skitouren im Allgäu – Schritt für Schritt — über Monate bis ins Basislager.
Und dann über weitere Wochen hinauf, weiter bis in die sogenannte „Todeszone“. Also jene extreme Höhe über 8.000 Meter, in der der menschliche Körper nicht dauerhaft überleben kann.

Zeltplatz am Mount Everest in 8000 Meter Höhe
Der Weg zum Mount Everest
Team rund um Klaus Ullrich auf dem Weg zum Mount Everest
Klaus Ullrich mit Sauerstoffmaske

Höhenvergleiche

Matterhorn (4.478 m)
einer der markantesten Gipfel der Alpen
Besteigungen p. a. : ∅ 3.000 – 4.000
Kategorie: technisch anspruchsvoller Alpinismus

Mont Blanc (4.809 m)
höchster Berg der Alpen
Besteigungen p.a. : ∅ 25.000 – 30.000
Kategorie: klassischer Alpinismus

Mount Everest (8.849 m)
höchster Berg der Welt
Besteigungen p. a.: ∅ 700
2024: 421
Kategorie: Höhenbergsteigen

Der Weg zum Mount Everest

» Hätten wir abgebrochen — es wäre längst nicht mehr von Belang gewesen. Mir wurde während der gesamten Zeit auf dem Berg immer deutlicher bewusst: Hier geht es bei weitem nicht mehr um den Gipfel. «

Gipfelaufstieg Mount Everest bei Nacht

Gab es diesen einen Moment, an dem Sie wussten: Der Traum von damals, er wird gerade wahr?
Ullrich wird ruhig. Ja, den gab es. Es war gegen 4:30 Uhr morgens, auf 8.600 Metern. Die Sonne ging gerade auf. Wir standen über den Wolken. Die Welt lag still unter uns. Und ich sah – tatsächlich – die Erdkrümmung. Ein kurzer Moment der Ehrfurcht, der Stille, der Erkenntnis. Mir wurde schon während der gesamten Zeit auf dem Berg immer bewusster: Hier geht es bei weitem nicht mehr um den Gipfel.




RUHELOS

„Du versuchst, den Geist wachzuhalten, (...) der Körper funktioniert einfach nur noch. Klare Anweisung des Guides an uns Bergsteiger: Auf keinen Fall hinsetzen! Man steht sonst nicht mehr auf.“

Mann mit Helmlampe beim Aufstieg des Mount Everest

Und dennoch haben Sie ihn erreichen dürfen.
Ja, und dafür bin dankbar. Dieser Moment in meinem Leben lässt mich nicht mehr los. Es war unbeschreiblich — auch wenn man dies gar nicht versteht. Oder besser verstehen kann. In dem Moment ist alles zu groß. Auch die Erschöpfung. Man ist einfach nur im Augenblick. Und dieser hallt dann unbeschreiblich nach. In so vielen Facetten des Lebens.

Mount Everest bei Tagesanbruch
Mount Everest bei Tagesanbruch

GRATWANDERUNG
Nur gesichert in der Seilschaft. Rechts fällt der Hang an dieser Stelle fast tausend Meter ab.

Die letzten Meter beim Aufstieg des Mount Everest

ANKOMMEN
Die Gruppe erreicht nach 36 Tagen den Gipfel. Davon 21 Stunden in der letzten Etappe.

Dazu gehört auch, die Ängste oder die Gedanken aufzugeben, von denen Sie im Vorgespräch berichteten. Wie sind Sie damit umgegangen?
Die Gedanken waren immer da. Sie kamen täglich. Wie ich also damit umgegangen bin? Indem ich darüber gesprochen habe. Unsere Guides waren erfahren, kannten diese Tiefs. Die größte Stärke war, Schwäche zuzulassen. Offenheit sei keine Schwäche, sondern die Voraussetzung für Vertrauen. Jeder Tag hatte seine Kämpfe. Aber auch eben seine Erkenntnisse — daraus zieht man Energie.

Wenn Sie nun von mentalen Tiefs sprechen, was war im Gegensatz das persönliche High? Der größte Moment?
Der kam nicht am Gipfel. Sondern am Morgen danach. Ich war allein. Nur ich und diese Stille — wie trefflich — im Tal des Schweigens. Es hatte frisch geschneit. Es klingt pathetisch, aber jeder Schritt zog nicht nur eine Spur in den Schnee, sondern hinterließ auch eine neue in meinem Leben.

Das klingt groß.
Ja. Der Everest zeigt einem die eigene Zerbrechlichkeit. Und zugleich auch eine Kraft, von der man vorher nichts wusste. Ich habe gelernt, dass man anderen am besten Mut machen kann, wenn man selbst durch etwas durchgegangen ist.

Heute ist Klaus Ullrich Coach und Impulsgeber. Seine Erkenntnisse zieht er nicht aus Büchern, sondern aus gelebter Erfahrung.

Vom erfolgreichen Sportler mit 18 Ironman-Langdistanzen zum erfolgreichen Unternehmer. Jetzt schlagen Sie als Coach neue Wege ein. Und das alles wegen des Mount Everest?
(…) Solche Erlebnisse hinterlassen etwas. Aber der Kern war eigentlich immer da – egal ob im Sport, im Beruf oder in den Bergen. Heute ist es nicht mehr der Himalaya, sondern die Alpen, die mich begleiten. Aber auch sie erinnern mich genauso daran: Nicht alles liegt in unserer Hand – weder das Wetter noch das Leben. Aber wir können lernen, damit umzugehen. Schritt für Schritt.“

Mit dem Blick zurück: Definieren Sie heute Erfolg anders?
Na ja, mein Leben war immer geprägt von Bewegung. Und damit meine ich nicht nur die körperliche. Wenn man ein Ziel hat, und es wirklich will, dann muss man dran bleiben. Somit also zurück zur Frage: Erfolg ist, wenn man seiner Bestimmung folgt.

Eigentlich ein einfacher Satz. Eigentlich… 

Klaus Ullrich mit Team auf dem Gipfel des Mount Everest

Das, was bleibt.
Was bleibt, wenn man ganz oben war? Für Klaus Ullrich ist es nicht der Blick vom Gipfel – sondern die Klarheit, die man mit hinunternimmt. Die Erfahrung, dass jeder Weg lehrt – auch jenseits von Höhenmetern. Und dass das Weitergeben vielleicht das Wichtigste ist: Inspiration für andere. Aber auch stets für sich selbst. Im Gespräch wird deutlich: Wer etwas in Bewegung setzen will – sei es in sich oder im Unternehmen – braucht Haltung. Und genau darin fühlen wir uns bestätigt: in unserem Antrieb, auch nach 90 Jahren immer wieder neu aufzubrechen. Danke für die Zeit und das Teilen dieser beeindruckenden Erlebnisse!

Klaus Ullrich sitzend auf einem Felsen

ANGEKOMMEN
bei sich selbst.

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